Die Freude war groß im Café der Weiler Flüchtlingshilfe, konnten wir doch nach langer Zeit wieder den Geschichten von Charles Aceval lauschen. Er erzählte uns von Heimat und Fremde, von Aufbruch und Integration.
Viele seiner Geschichten sind mit Situationen in seinem Leben verbunden.
So wie die Geschichte, die er 1960 als zehnjähriger im Krieg erlebte und lange Zeit nicht erzählen konnte.
Es war abends zur Sperrstunde, er, seine Mutter, und seine Geschwister hatten sehr wenig zu essen, die Kinder weinten vor Hunger. Die Mutter tröstete mit der Geschichte der Kamelstute, die in der Nacht kommen sollte, um Essen zu bringen. Sie erzählte so lange Geschichten, bis die Kinder alle einschliefen – die Mutter hatte nichts zu Essen für die Kinder, aber in Erinnerung blieb das Lächeln der Mutter und die Liebe, die sie zeigte.
Ein Jahr später – es herrscht immer noch Krieg, steht Charles Aceval mit seiner Mutter an der Haustür und sieht, wie sich Algerier und Franzosen bekämpfen. Auch sein Onkel ist als Fahnenträger dabei. Plötzlich ist die Fahne nicht mehr zu sehen – der Onkel ist tot.
Dazu erzählt er eine Geschichte aus einem Dorf in Algerien. Dort lebte eine Frau mit ihrem Sohn. Die Menschen waren nicht reich, aber sie lebten in Frieden. Doch eines Tages begann Krieg – alle Männer zwischen 16 und 50 mussten in den Krieg ziehen. Die Mutter bekam große Angst, ihr Sohn war gerade 16 Jahre alt geworden.
Bald war das Dorf wie leergefegt – Elend, Armut und Trauer machten sich breit.
Die Mutter, die im Dorf Brot buk, weinte jeden Tag und betete, dass ihr einziger Sohn wieder heimkommen würde. Jedes Mal beim Backen buk sie auch ein kleines Brot, und verschenkte es an Arme oder Bettler.
Eines Tages kam ein Mann an ihr Haus. Die Frau schenkte ihm ein Brot. Der Mann packte das Brot in seine rote Tasche und sprach zu ihr: „Habe Vertrauen in Gott, dein Sohn wird wiederkommen.“ Einige Jahre lang kam er immer wieder, bis der Krieg endete. Viele Männer kamen wieder ins Dorf, auch die Mutter erwartete ihren Sohn zurück. Doch er kam nicht – auch im letzten LKW saß er nicht. Die Mutter war verzweifelt, weinte, trauerte und begann zu hassen – die Menschen, den Krieg und vor allem den Mann, der versprochen hatte, dass ihr Sohn zurück käme. Sie mischte Gift in das kleine Brot für diesen Mann.
Als er wieder in ihr Haus kam sprach er: „Heute kommt dein Sohn wieder,“ dann packte er das vergiftete Brot in seine rote Tasche und ging. Plötzlich war die Frau über sich entsetzt, lief dem Mann hinterher und tauschte das Brot.
Dann plötzlich ist ihr Sohn wieder da und sagt zu ihr: „Der Krieg war so schlimm! Ich wollte zurück und war schon ganz nah, aber so schwach. Die letzte Strecke bis ins Haus habe ich nicht geschafft. Dann war da ein Mann mit einer roten Tasche, er gab mir Brot und Trinken.“
Nicht auszudenken, was aus Hass hätte passieren können.
Nach dem Krieg entschied Charles Aceval nach Frankreich zu gehen. Dann erhielt er einen Brief von seinem Bruder, der ihn einlud, in Reutlingen zu leben. Hier unterschied sich das Leben noch viel mehr und war noch viel fremder. Sollte er zurück gehen?
Doch mit Hilfe seines Bruders lebte er sich in Deutschland ein und wohnt heute mit seiner Frau in Weil. Zu diesen Erfahrungen erzählt Charles Aceval in der Geschichte „Die rote Schildkröte“, eine Geschichte über eine gefährliche Reise übers große Meer, Abschied zu nehmen, über Veränderung, und über den Schmerz, die Heimat verlassen zu haben.
Das ist Charles Aceval wichtig. Die Heimat zu verlassen schmerzt, weil man Verwandte und Freunde zurücklässt. Doch die Fremde wird zur Heimat und das ist schön. Er sagt: „Deutschland hat mir ein Geschenk gemacht – ein Leben in Freiheit.“
Wir wünschen allen, die in den letzten Jahren zugezogen sind, dass sie hier eine neue Heimat finden können und bedanken uns ganz herzlich bei Charles Aceval für diesen eindrucksvollen Abend.
Die eingegangenen Spenden kommen der Weiler Flüchtlingshilfe zu Gute.